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Der arbeitsfreie Sonntag (Ausgabe2|17)

07. Juni 2017 | Couleur-Online, Wirtschaft und Gesellschaft
Der arbeitsfreie Sonntag (Ausgabe2|17)

Über die Notwendigkeit einer Reform des Sonntagsöffnungsverbots wird seit langem diskutiert. Kirchen und Gewerkschaften, Wirtschaftskammer und einige ÖVP-Teilorganisationen haben sich in dieser gesellschaftspolitischen Brennpunktfrage eindeutig positioniert.

Die Qualität des Diskurses zielt mehr auf public impact als auf offenherzigen Diskurs um des guten Zusammenlebens willen. Höchste Zeit, sich in einem Verband, der maßgeblich aus Wirtschaftstreibenden, Katholiken und Angestellten besteht, mit den verschiedenen Betrachtungsweisen näher auseinander zu setzen. Vielleicht lässt sich so zu einer vertieften Fragestellung aus katholisch-couleurstudentischer Sicht gelangen. Vielleicht stellen wir zuletzt fest, dass es nie einfache Antworten gibt, wenn es um die Abwägung zwischen hohen Gütern geht.

 

Alles eine Frage der Freiheit?

Dekoratives Bild: Billa Supermarkt am FlughafenAuf der einen Seite steht die Freiheit des Unternehmertums. Allein bei ihm liegt die Kompetenz einzuschätzen, ob und wann es rentabel ist, zu öffnen. Einige Einwände liegen dabei auf der Hand: Werden tatsächlich mehr Autos verkauft, wenn am Sonntag offen ist? Essen Herr und Frau Österreicher dann mehr? Ist nicht schon viel gewonnen, wenn Hofer & Co. am Samstag nicht schon um 18:00 Uhr schließen und  Apotheken ab 12:00 auf den Notdienst verweisen? Gewiss sind diese Einwände begründet, doch sind sie Sorgen des freien Unternehmertums.

Dabei ist es aber redlich und notwendig, die Frage zu stellen, wer denn das überhaupt ist, das freie Unternehmertum: Wer profitiert eigentlich von der Sonntagsöffnung? Große Ketten oder KMUs? Hat die Masse der Geschäftstreibenden davon einen Vorteil, oder wird sie durch die neuen Öffnungszeiten großer Konkurrenten nicht eher gegen eigenen Antrieb in eine schwer leistbare Sonntagsöffnung gezwungen? Wer ist das denn, „Die Wirtschaft?“ Wessen Freiheit wird da zu wessen Lasten erhöht?

Klüger scheint es, dort anzusetzen, wo ganz unstrittig mehr Umsatz gemacht werden kann: In Tourismuszonen, an Verkehrsknoten, in ausgesuchten Wirtschaftsfeldern.

 

 

 

Aus christlicher Sicht vertretbar?Christlich geprägte Staaten wie Italien oder Polen erlauben die Sonntagsöffnung, das laizistische Frankreich nicht. An der Konfessionsfrage allein kann man diese Frage nicht entscheiden.

Auf der anderen Seite steht die Freiheit der Arbeitnehmer: Sie haben Anspruch darauf, sich auch außerhalb des Wertschöpfungsprozesses zu entfalten, Mensch zu sein. Kann eine Familie mit zwei Elternteilen in

Schichtarbeit ein gemeinsames Leben gestalten? Ist in solchen Situationen – die übrigens immer mehr werden – ein bisschen mehr Geld durch Sonntagsarbeit ein Beitrag zu besserem Leben? Wie steht es dabei um individuelle Freiheiten?

Aus christlich-theologischer Sicht hängt am Sonntagsgebot die Gottesebenbildlichkeit und der Schöpfungsauftrag. Schon für das Volk des Alten Bundes war der Sabbat Tempel der Zeit, Ort der Freiheit, sich Gott zu widmen, den Mitmenschen (soziales Engagement und Ehrenamt ist ohne freien Sonntag schwer denkbar), der Familie. Der Tag der Ruhe als Tag der Freiheit. Genauso gilt das für uns Christen.

Aber staatlicherseits verordnete Freiheit? Wenn Gott selbst uns aufgrund seiner großen Liebe die Freiheit gibt, sich ihm zu- oder von ihm abzuwenden – bedarf es da einer weltlich-gesetzlichen Regelung, die uns diese Entscheidungsfreiheit für einen Tag der Woche wiederum abnimmt? Ja, man soll den Sonntag heiligen und es ist sehnlichst zu wünschen, dass dies möglichst vielen Lesern ebenso ein Anliegen ist, wie dem Autor. Aber es gesetzlich vorschreiben? Ist diese Art von Kulturkatholizismus mehrheits- und zukunftsfähig? Trägt sie zu erwachsener Mündigkeit in spirituellen Fragen bei? Zu kirchlicher Glaubwürdigkeit? Andererseits: Führt ein Fall der gesetzlichen Regelung nicht automatisch zu einer implizierten Umkehr? Soll heißen: gibt es seitens des Arbeitgebers dann nicht umso höheren Druck, gerade am Sonntag zu arbeiten? Erhöht das die individuelle Freiheit?

 

Mehr für alle?

Eine weitere Flexibilisierung, wenn sie denn wirklich der Erweiterung der Freiheit auf beiden Seiten des Arbeitsverhältnisses dient, ist eine begrüßenswerte Entwicklung. Ob sie aber gerade beim arbeitsfreien Sonntag beginnen muss, scheint aus couleurstudentlich-christlicher Sicht jedenfalls begründungspflichtig. Mehr Flexibilität muss jedenfalls auch dazu führen, dass die Arbeitnehmer in höherem Maße Anteil an der Wertschöpfung haben. Ein unter dem Deckmantel der Flexibilität effektuierter Reallohnverlust scheint kein Beitrag zu höherer Freiheit und Gestaltungssouveränität zu sein.

Die erwähnte Begründungspflicht soll uns aber nicht geistig lähmen, sondern stets erneut zur Verortung unserer eigenen Interessen und ihrer Vertretung in einer lebendigen Auseinandersetzung führen. Zuletzt sollte jeder katholische Couleurstudent, ganz gleich ob Wirtschaftstreibender oder Arbeitnehmer, auf  Grundlage der kirchlichen Soziallehre sein Gewissen erforschen und solchermaßen zu einer individuellen Willensbildung gelangen. Dabei gilt es auch zu unterscheiden, welchen Weg ich für mich ganz privat gehen will und welche Normen ich verbindlich für die gesamte Gesellschaft festgelegt haben möchte. Denn neben meinem unmittelbaren Vorteil bleibt die Frage, ob ich mich langfristig in einer Gesellschaft wohl fühle, in der gesellschaftliche Kohärenz vermindert ist. Die grundlegende These:

Entscheidungen, die individuelle und gleichzeitig gesamtgesellschaftliche Freiheiten auf lange Sicht erhöhen, sind stets jenen vorzuziehen, die eine oder beide verringern.

Zweifellos wird die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung um den arbeitsfreien Sonntag weiter heftig geführt werden. Das Abendland würde durch eine Öffnungszeitenliberalisierung sicherlich nicht untergehen. Schon jetzt gibt es keine Einschränkungen bei Notdiensten, im Tourismus, der Gastronomie oder bei Mobilitätsdienstleistern. Hier stellt sich also auch die Frage der Gerechtigkeit gegenüber anderen Branchen.

Offen bleibt aber, ob man bei der Arbeitszeitenflexibilisierung unbedingt beim Sonntag ansetzen muss. Selbst im denkbaren, klassisch-österreichischen Fall, dass für alle Stakeholder ersichtlich wird, dass der aktuelle gesetzliche Besitzstand ohnehin den bestmöglichen Konsens ausdrückt, wäre das kein Verlust: Man könnte sich dann beruhigt anderen Themen zuwenden. Etwa einer Bundesstaatsreform, einem kohärenten, fairen und transparenten Steuersystem, einer Reform der Sozialversicherungsträger, einer Kompetenzentflechtung in den Bereichen Gesundheit und Bildung, einer Revision der Kammerpflichtmitgliedschaften, oder auch der Verringerung jener Vielzahl an Vorschriften, die den Geschäftsalltag von KMUs unnötig komplizieren. Auch alles nicht ganz unwesentlich, für einen Wirtschaftsstandort.

 

Der Autor:

Portrait Lucas SemmelmayerMag. Lucas Semmelmeyer (JOW)

 

Lucas Semmelmeyer, *1981, ist Theologe und Religionspädagoge. Diplomarbeit zur Religionsschrift Immanuel Kants. Weitere Arbeiten zu dessen Streit der Fakultäten sowie über die Apokatastasis-Abgrenzung und Karsamstagstheologie Hans Urs von Balthasars. Er lebt und lehrt in und um Wien.

 

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